Advent Kurzgeschichten

2025


1. Advent

Lichtermeer

Darsteller: Yoru, Shiro, Blake

Das schrille Lachen drang bis durch die Holztür in das hinterste Eck des Buchladens. In Yorus Kopf pochte bereits der ihm bekannte Nerv, wenn diese eine besondere Person anwesend ist.

Zeitgleich mit dem Zuschlagen seines Buches, krachte auch schon die Eingangstür scheppernd an die Wand. Langes dunkelblaues, glänzendes Haar, rosige Haut und ein Organ, das auch auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt mit Sicherheit gut zu vernehmen war, platzten in den sonst stillen Raum.

YORU!“, krakeelte Blake so laut, als müsste sie über einen Fußballplatz schreien.

Der Angesprochene verzog das Gesicht und presste die Zähne zusammen, um Blake nicht gleich sofort garstig anzufahren.

„Kannst du nicht mal etwas leiser sein?!“, knurrte er stattdessen und hielt sich die Hand an die Stirn.

„Wieso? Was meinst du mit leiser ein? Ach egal, schwing deinen Hintern hoch, wir gehen heute auf den Markt!“

Zu allem Überfluss erkannte Yoru hinter diesem laut tönenden Gör namens Blake auch noch eine weitere Gestalt, die das Mädchen um einen Kopf zu überragen schien: sein über beide Wangen grinsender Zwillingsbruder Shiro.

Yorus Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Was für ein Markt? Mal davon abgesehen, dass ich meinen Hintern hin schwinge, wohin ich will, verstanden?“, murrte er und wandte sich wieder seinem Buch zu, dass er zugeschlagen hatte.

„Der Weihnachtsmarkt natürlich! Lebst du hinter dem Mond!?“, entfuhr es Blake barsch. Geschickt schnappte sie ihm das Buch aus den Händen, um sich seine Aufmerksamkeit zu sichern.

„He!“, rief er und seine Augen weiteten sich kurz vor Überraschung.

Sie wagt es …!

„Hast du in letzter Zeit mal aus dem Fenster geschaut, du Nerd?“, fauchte Blake und stieß ihm eiskalt den Finger in die Brust.

„Sag mal …“, begann Yoru, packte mit eiserner Hand ihr Handgelenk, stand von seinem altertümlichen Stuhl auf und schob Blake grob von sich.

„ … für wen hälst du dich eigentlich?!“, beendete er seinen Satz. Blake schien für einen Moment die Fassung verloren zu haben, hatte sich jedoch schnell wieder gefangen.

„Komm schon, Yoru.“, mischte sich nun Shiro ein und schob sich vor diese Nervensäge.

„Ist mal wieder Zeit, ein bisschen frische Luft zu schnappen, meinst du nicht auch?“

„Was geht’s dich an?!“, ging Yoru seinen Bruder an.

„Wir möchten nur nicht, dass du hier versauerst und den ganzen Spaß dort draußen verpasst.“

„Interessiert mich nicht die Bohne, was dort draußen passiert!“

Shiro seufzte ergeben.

„Na gut.“, meinte Shiro und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann zog ein verschmitztes Grinsen über sein Gesicht.

Yoru kannte diesen Blick. Dieser Bastard von Bruder hatte noch ein Ass im Ärmel …

„Dann sehen wir uns den Antiquitätenhändler aus dem Wasserreich mit dieser exzellenten Auswahl an Büchern eben alleine an.“, mit diesen Worten drehte Shiro ihm den Rücken zu und schob Blake unsanft mit sich.

„W-was für ein Händler?!“, platzte es unerwartet hastig aus Yoru heraus. Ihm war wohl anzumerken, dass ihn dieser Ausrutscher ärgerte, denn Shiro lachte leise.

„Puh, ich weiß gerade seinen Namen nicht. Ähm, irgendwas mit … C … ?“. provozierte Shiro ihn.

„Chambers? Piers Chambers?! Jetzt sag schon!“, ungeduldig packte Yoru seinen Zwillingsbruder an den Oberarmen. Shiros Grinsen wurde breiter.

„Ich glaube, der wars!“

„Wenn ihr mich verarscht seid ihr sowas von tot!“, drohte Yoru und warf die Ladentür mit dem ewigen GESCHLOSSEN Schild hinter sich zu.

Ein paar Stunden später …

„Nun gib schon zu, dass du Spaß hast!“, neckte Blake Yoru und stupste ihn gegen die Schulter.

„Lass mich in Ruhe.“, murmelte dieser, doch seine leicht rosa Wangen und die glänzenden Augen betrogen ihn.

Blake kicherte vergnügt und hielt sich an ihrem Glühweinbecher fest.

„Du bist ja richtig ausgerastet, als wir an diesem Bücherstand waren. Da sahst du zur Abwechlsung mal richtig niedlich aus!“

Yoru warf ihr einen finsteren Blick zu.

„Wenn du jetzt nicht bald …“, fing er an.

„Blake, dort hinten gibt es Schneebälle mit Erdbeerfüllung! Die müssen wir probieren!“, rief Shiro aufgeregt dazwischen und wedelte mit den Armen durch die Luft. Yoru verdrehte genervt die Augen und drückte die große Tüte mit seinen Einkäufen fester an seine Brust.

„Bin gleich da, Shiro! Warte auf mich!“, rief Blake ihm hinterher. Natürlich war Shiro sofort losgerannt. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen. Mit einem bedeutsamen Blick bedachte Blake Yoru und drückte ihm dann ihre heiße Tasse mit Glühwein in die Hand.

„Gönn dir mal etwas Entspannung, du Griesgram.“, flötete sie und lief Shiro hinterher, der schon lange in der Menge verschwunden war.

„Womit habe ich das nur verdient.“, grummelte Yoru. Nippte dann aber doch an dem würzigen Wein und betrachtete die funkelnden, bunten Lichter um sich herum. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen


2. Advent

Kräuterbackstube

Darsteller: Vamir & Lyn

Vamir gähnte, als er das kleine Windschiefe Holztor aufschob. Er hatte wirklich die Zeit vergessen! Die Dämmerung war schon weit voran geschritten. Aber was hatte er erwartet, schließlich wurde er zu einem medizinischen Notfall gerufen und diese waren nie schnell erledigt!

Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Der gepflasterte Weg zu seiner bescheidenen Hütte war voller Stolpersteine und er wollte schließlich nicht …

War das dort etwa Licht?!

Stirnrunzelnd blieb Vamir stehen und blickte in das Fenster zur Küche. Kein Zweifel! Eindeutig konnte er den flackernden Kerzenschein ausmachen, der kaum erkennbar hin und her flackerte.

Lyn wird doch wohl nicht noch an ihren Tinkturen arbeiten?!

Bei allen Heiligen, ich schwöre diese sture Frau eines Tages eigenhändig festzubinden, sobald ich aus dem Haus gehe!, sinnierte er.

Vamir wusste ganz genau, dass seine Schülerin Lyn es oft übertrieb mit ihrem Ideenreichtum und Arbeitspensum und dann tagelang nicht mehr ansprechbar war.

Kaum hatte er die schwere Eichentür mit den eisernen Beschlägen geöffnet, schlug ihm ein merkwürdiger Geruch entgegen.

„Lyn?!“, rief er besorgt, doch der schmale Flur vor ihm blieb still. Mit einem großen Schritt hechtete er zu der Küchentür, die gleich links von ihm lag und riss sie auf.

Ein schriller Schrei empfing ihn. Dann ein lautes Poltern. Vamir traute seinen Augen kaum! Die Küche glich einem Schlachtfeld! Überall waren Utensilien verstreut und undefinierbare Zutaten lagen auf dem Boden herum. Mittendrin Lyn, die ihn mit auf die Nasenspitze gerutschter Brille und entsetztem Blick ansah.

„M-M-Meister!“, stotterte sie und ihre Hände, die scheinbar gerade eben noch ein Blech mit Gebäck gehalten hatten, zitterten wie Espenlaub.

„Lyn!“, mit wehendem, weißen Mantel rauschte Vamir auf seine Schülerin zu. „Was machst du denn hier?!“

„I-ich w-woll … wollte nur …“, jammerte sie und Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. Rasch wandte sie den Blick ab.

Vamir legte seine riesige Hand vorsichtig auf ihre schmale Schulter und beugte sich zu ihr hinab.

„Beruhige dich, Lyn. Es ist doch nichts passiert. Ich bin dir nicht böse, wenn du zu nachtschlafender Zeit noch in der Küche experimentieren willst, aber …“

Sie entkam aus seinem Griff, indem sie sich wortlos auf den Boden kniete. Jetzt erst erkannte Vamir, dass kleine Gebäckstücke in alle Winde verstreut auf dem Boden lagen.

„I-ich … ich wollte nur Kekse für Euch zum zweiten Advent backen, Meister.“, murmelte sie in ihrer leisen Stimme und sammelte vorsichtig alle Teilchen ein.

„Weil Ihr doch so gerne Süßigkeiten mögt.“

Diese Aussage versetzte seinem Herz einen kleinen Stich. Krampfhaft versuchte er nicht rot zu werden.

„Ich … also … „, stammelte er überrumpelt.

Es half nichts, dass sie sich nun umdrehte. Ihr hochroter Kopf und ihre tränennassen Augen sprachen Bände.

Vamirs Gesicht brannte. Nachdem er sie einige Sekunden angestarrt hatte, fasste er sich jedoch ein Herz und fragte: „Darf ich dann einen probieren?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach einem Keks, den sie gerade vom Boden aufgesammelt hatte.

„Meister …!“, rief sie daher panisch, doch da hatte Vamir das Gebäck schon in den Mund geschoben.

Es schmeckte scheußlich.

„Lyn …“, würgte er, den bitteren Geschmack unterdrückend. „ … was hast du in diese Kekse getan?“

„Oh?“, entgegnete sie, legte den Kopf schief und begann, ganz nach ihrer Art, penibel die Zutatenliste aufzuzählen.

„Roggenmehl, destilliertes Wasser, ein Stück Hefe, Sud aus der Gallbeere, Frostbrier und etwas zerstampfte Gelbe Annie für die Farbe!“

Vamirs Grimasse wurde bei jeder weiteren Aufzählung länger und länger.

„Stimmt etwas nicht, Meister?“, fragte Lyn besorgt und legte wieder fragend den Kopf schief.

„Nein.“, sagte Vamir, schloss die Augen und lachte kehlig. „Die Kekse sind nur etwas … trocken weißt du.“

Er brachte es nicht übers Herz ihr zu sagen, dass ihre Kreation ungenießbar ist.

„Wollt Ihr noch einen Keks, Meister?“, fragte Lyn ihn nun fröhlich und ohne ein Anzeichen von verlegenem Stottern.

„S-sicher …“


3. Advent

Zwei Krug Wein

Darsteller: Gehenna & Ananta

Gehenna rückte ihr knappes Oberteil zurecht, bevor sie die Tür zur Taverne auftrat. Mit dem Fuß natürlich, denn ihre Ankunft sollte schon jeder mitbekommen! Wie gewünscht wandten sich auch abrupt alle Köpfe in der Schenke herum, sobald die Tür krachend aufschwang. Aber als die spärlichen Gäste des Wirtshauses die pinkhaarige Dämonin erkannten, drehten sie sich auch schon abwinkend murmelnd wieder um.

„Henna …“, murrte der Wirt, während er kopfschüttelnd ein Weinglas mit einem schmierigen Lappen polierte. „Musst du immer fast die Tür aus den Angeln reißen?! Ich hab ehrlich keine Lust, noch vor Weihnachten den Zimmermann kommen zu lassen wegen dir!“

Die Angesprochene würdigte dem bärtigen Mann keines Blickes. „Wie oft soll ich dir sagen, mich nicht Henna zu nennen wie ein kleines Mädchen!“, warf sie ihm kalt zu.

Mit geübten Blick scannte Gehenna zeitgleich die Schankstube. Die üblichen Verdächtigen zierten die Tische.

Banditen, Raufbolde, Meuchelmörder und allesamt schon längst nicht mehr Herr ihrer Sinne, bei dem Getöse, den sie wieder veranstalteten.

Das Einzige, das heraus stach aus der tristen Szenerie waren die drei Kerzen, die zur Feier des dritten Advent auf jedem der Tische standen.

Der Wirt hatte wirklich nerven, offenes Feuer hier bei diesen Halunken aufzustellen. Im Ernstfall brennen die noch die Taverne nieder …

Das Gezeter des alten Wirts hinter dem Thresen nicht beachtend, entdeckte Gehenna endlich, was sie suchte: Eine zusammengekauerte Gestalt in der hintersten Ecke des Raumes.

Sie grinste, griff sich die nächsten vollen Tonkrüge mit gewürztem Trulbeerwein, die der Schankwirt gerade für andere Gäste auf den Thresen gestellt hatte, und ging elegant hinüber zu der mysteriösen Person.

„Ich wusste, dass ich dich hier heute finde, Ana.“, sagte Gehenna und stellte polternd einen der Krüge vor der Gestalt ab. Endlich hob diese den Kopf und unter der hellen, verschmutzten Kaputze lugte ein hübsches Gesicht hervor, dessen Augen schlangenhaft wie zwei funkelnde goldene Sonnen an Gehenna hinaufsahen.

„Und ich wusste, dass du mir heute Gesellschaft leisten würdest.“, sagte Ananta und lächelte breit. Ihre dunkle Haut schimmerte in dem Kerzenschein besonders schön.

Gehenna grinste zurück und setzte sich.

Normalerweise verbrachte sie die kühle Jahreszeit im Land der Vulkanfelder, bei Drake, dem amtierenden Herrscher. Oder in dem opulenten, aber recht chaotisch geführtem Herrenhaus von Ryu, der sich nie bei Feiern jeglichen Anlässen lumpen ließ.

Dieses Jahr jedoch wollte sie die Zeit mit ihrer Freundin Ananta verbringen. Es ist nicht so, dass ihr die Magierin Leid tat, nein. Eigentlich konnte Gehenna in der letzten Zeit an nichts anderes mehr denken als an die schöne Schlangendämonin.

„Was aber treibt dich wirklich hierher, an diesen schäbigen Ort?“, fragte Ananta spitzbübisch und griff nach dem dampfenden Krug.

Gehenna ließ sich auf den Holzstuhl fallen, hob den Krug zum Anstoßen und sah ihrer Gegenüber dabei tief in die Augen. „Das sollte dir eigentlich klar sein, Ana.“, war ihre subtile Antwort darauf.

Die Krüge krachten aneinander und ein jede von ihnen nahm einen großen Schluck.

„Hast du mich etwa so sehr vermisst, dass du mir den dritten Advent mit deiner Anwesenheit versüßen wolltest?“

Gehenna schmunzelte und wortlos legte sie ihre vernarbte und bandagierte Hand über die ihrer Freundin. Anantas Finger waren zart und rein, mit sorgsam gefeilten langen Nägeln. Nachdem Gehenna sie ausgiebig betrachtet hatte, antwortete sie schon fast andächtig: „Ja, genau so ist es.“

Anantas tiefgründiges und verhaltenes Schweigen deutete mehr als tausend Worte.


4. Advent

Einsamkeit und Freude

Darsteller: Han Yuan, Nathaniel, Vamir, Lyn, Blake, Shiro & Yoru